Einer der größten deutschen Atomstandorte ist Geschichte
Eines der bekanntesten Kernkraftwerke Deutschlands ist Geschichte. Nach rund 36 Jahren Betriebszeit ist auch der dritte Reaktor des Kernkraftwerks im schwäbischen Gundremmingen vom Netz genommen worden.
Am 31. Dezember um 20.00 Uhr trennte die Schichtmannschaft den Generator von Block C des Kraftwerkes bei Günzburg vom Stromnetz, wie der Energiekonzern RWE mitteilte. Kurz darauf schaltete das Team den Reaktor endgültig ab.
Gundremmingen zählt zu den größten Kernkraft-Standorten in Deutschland. Mit Block A begann im Jahr 1966 die industrielle Produktion von Atomenergie in der Bundesrepublik. Dieser erste Meiler wurde nach einem Jahrzehnt nach mehreren schweren Störfällen abgeschaltet. Die Blöcke B und C wurden im Jahr 1984 zusammen fertiggestellt und gingen dann im Abstand weniger Monate in Betrieb, der dritte Block lief regulär dann seit Anfang 1985.
Der zweite Block B des Kernkraftwerks war Ende 2017 planmäßig nach 33 Jahren vom Netz gegangen. Gundremmingen war bis dahin der letzte Atom-Doppelstandort mit zwei aktiven Reaktoren in Deutschland. Der Atommeiler im schwäbischen Landkreis Günzburg zählte aber auch wegen der Siedewassertechnik zu den umstrittensten Anlagen.
Der dritte Block sei als letzter Siedewasserreaktor Deutschlands der gleiche Typ wie beim Katastrophen-Kraftwerk in Fukushima gewesen, erklärte der Bund Naturschutz in Bayern (BN). Bei diesen Reaktoren bestehe im Unterschied zu Druckwasserreaktoren eher ein Risiko, dass radioaktiv kontaminierter Dampf das Reaktorgebäude verlassen könne. „Die Freisetzungsgefahr von Radioaktivität ist damit besonders erhöht“, meinte der BN.
Grünen-Fraktionschef Hartmann: „tickende Zeitbombe“
Der Grünen-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Ludwig Hartmann, bezeichnete Gundremmingen deswegen auch als „tickende Zeitbombe“. Die Abschaltung des letzten Blocks dort sei „ein weiterer wichtiger Meilenstein des deutschen Atomausstiegs“, sagte er. „Jetzt sind es nur noch zwölf Monate, dann haben wir uns endlich dauerhaft von den Risiken der Atomstromgewinnung in unserem Land befreit.“
Im Rahmen des Atomausstiegs endeten am Silvestertag auch die Betriebsgenehmigungen für die Kernkraftwerke Brokdorf und Grohnde in Norddeutschland. Ende 2022 folgen dann die Reaktoren Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Niederbayern – dann ist das Atomstromzeitalter in Deutschland vorbei.
Nun soll in Gundremmingen der Block C nach und nach demontiert werden. Seit Mai 2021 liege die Genehmigung vor, dass auch der dritte Block rückgebaut werden dürfe, sagte Anlagenleiter Heiko Ringel. „Damit wird dann im Januar 2022 begonnen.“ Der Rückbau erfolgt parallel zu dem bereits bei Block B begonnenen – schätzungsweise etwa 15 Jahre wird das milliardenschwere Projekt dauern.
Die meisten der etwa 540 Kraftwerks-Mitarbeiter werden daher noch länger in Gundremmingen beschäftigt sein, nur etwa 100 Stellen sollen in den nächsten Monaten beispielsweise durch Ruhestand von Beschäftigten sozialverträglich gestrichen werden. „Wir planen Ende 2022 mit 440 eigenen Mitarbeitern“, sagte Ringel. Die sehr gut ausgebildeten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden die Anlage am besten kennen.
Auf dem Gelände könnte ein Gaskraftwerk enstehen
Zudem werden weitere externe Unternehmen mitarbeiten. Mit der Zerlegung der beiden Reaktordruckbehälter hat RWE erst kürzlich das Unternehmen Westinghouse Electric Germany aus Mannheim beauftragt.
RWE kann sich zudem vorstellen, den Standort auch künftig zur Stromproduktion zu nutzen. Unternehmenssprecher Jan Peter Cirkel erläuterte, dass dort ein Gaskraftwerk entstehen könnte. „Durch den Kernenergieausstieg und das beschlossene Ende der Kohleverstromung werden voraussichtlich ab Mitte der 2020er Jahre Versorgungsengpässe der Stromnetze in Süddeutschland erwartet“, sagte er.
Gaskraftwerke könnten dann flexibel die Engpässe auffangen. Solch eine Anlage würde dann auch gleich für den späteren Betrieb mit Wasserstoff gebaut. Dann könnte das Kraftwerk „langfristig im Sinne der Klimaneutralität eingesetzt werden“, meinte Cirkel. Er betonte allerdings, dass es noch keine Entscheidung für ein neues Gaskraftwerk in Gundremmingen gibt.
Doch die Atom-Vergangenheit wird die rund 1340 Einwohner große Gemeinde in Schwaben so oder so noch lange prägen. Denn die verbrauchten Brennelemente der Reaktoren werden vor Ort in einem Zwischenlager deponiert, weil es nach wie vor kein Endlager in Deutschland gibt.
Zwar soll eine eigene Bundesgesellschaft im nächsten Jahrzehnt einen Endlager-Standort suchen, doch wann solch ein Lager dann tatsächlich betriebsbereit wäre, ist noch unklar. Die Betriebserlaubnis für das Zwischenlager in Gundremmingen läuft bis zum Jahr 2046. Doch Kritiker befürchten, dass die Castor-Behälter letztlich noch wesentlich länger dezentral gelagert werden müssen – und dann bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts auch in Gundremmingen bleiben werden.
(Ulf Vogler, dpa)